Heute möchte ich etwas über eine Beziehung, die mir sehr wichtig ist, mit Euch teilen: die Beziehung zu meiner Arbeit, zu meiner Berufung, zu dem, was ich fast jeden Tag tue.
Auf die Idee zu diesem Tagebucheintrag kam ich nach einer Begegnung.
Neulich hatten wir einen leidenschaftlichen und sehr begabten Schlagzeuger zu Besuch. Er entdeckte unser Schlagzeug und spielte etwas für uns. Es war atemberaubend!
Seine Kindheit und Jugend hat er fast pausenlos am Schlagzeug verbracht. Er liebte es. Doch er erzählte uns, dass er sich später bei seiner Berufswahl gegen das Schlagzeugspielen und für einen anderen, eher konventionellen Weg entschieden hat.
Warum?
Er hat einen anderen Beruf gewählt hat, weil er befürchtete, dass all das viele Üben-Müssen, die Zwänge und der Druck während des Musikstudiums und auch später als Berufsmusiker seine Liebe zum Schlagzeugspielen zerstört hätten. Ich verstand das. Nur zu gut.
Ich liebte das Malen und Zeichnen bereits in meiner Kindheit und Jugend. Das war alles, was ich tun wollte; so war es naheliegend, dass ich Kunst studierte. Im Studium verlor ich jedoch beinahe meine Liebe zum Malen und Zeichnen. Darüber habe ich bereits mehrfach berichtet, daher sei hier nur kurz am Rande erwähnt, dass ich während meiner Studienzeit immer lustloser und blockierter wurde und am Ende überhaupt keine Freude mehr beim Malen empfand.
Erst nachdem ich mein Studium abgeschlossen hatte, machte ich mich auf die Suche nach dieser verlorenen Freude und begann, mich zu befreien und „in Ordnung“ zu malen. Nun bin ich seit fast 13 Jahren mit großer Begeisterung Berufskünstler.
Und jetzt komme ich zum eigentlichen Thema dieses Tagebucheintrags… 🙂
Manch einer tut es, ein anderer lässt es.
Die Berufung zum Beruf machen – das ist eine große Herausforderung.
Es ist wie Heiraten. Wenn wir heiraten, gehen wir ein Bündnis ein mit jemandem, den wir lieben. Wir wollen von nun an jeden Tag mit der Liebe unseres Lebens verbringen und sagen JA zu einander. In guten wie in schlechten Zeiten…
Wenn wir unsere Berufung zum Beruf machen, passiert etwas ähnliches. Wir gehen ein Bündnis ein. Wir sagen JA zu unserer Berufung. Wir wollen jeden Tag diese Freude leben und das tun was wir lieben. In guten wie in schlechten Zeiten…
Wie auch das Eheleben, so bringt das Berufung-Leben viele Herausforderungen mit sich.
Daher ist es gut, sich vorher gut zu überlegen, ob wir dieses Wagnis wirklich eingehen wollen. So wie in einer Partnerschaft.
Will ich diesen Menschen wirklich heiraten? Will ich jeden Tag mit ihm verbringen?
Will ich das, was ich liebe, jeden Tag tun? Will ich einen Beruf daraus machen? Geld damit verdienen?
Was ist, wenn ich mich langweile oder überfordert fühle oder es sogar als Zwang empfinde?
Was, wenn es sich immer leerer anfühlt? Was, wenn ich es irgendwann nur noch aus Gewohnheit tue?
Das sind ernst zu nehmende Gedanken. In meinen 13 Jahren als Beruf(ung)skünstler habe ich viele „gute und schlechte Zeiten“ erlebt. Und ich habe festgestellt, dass in dieser Beziehung die gleichen Dinge funktionieren, die auch in einer Partnerschaft mit einem anderen Menschen helfen.
Es ist so wichtig, dass wir achtsam sind und das schätzen, was wir haben.
Oft kommt es vor, dass in Beziehungen eine schwere, dumpfe Selbstverständlichkeit das Feuer der Liebe erstickt.
Klar, wenn zwei Menschen seit vielen Jahren jeden Tag miteinander verbringen, ist es anders als zum Anfang. Wie viele Paare verspüren kaum noch Lust, einander anzusehen und zu berühren, sich tief in die Augen zu blicken oder einander zu küssen? Oft wird dem anderen nach einem langen Arbeitstag nur noch müde die Wange hingehalten.
Eine Beziehung zu führen heißt auch Arbeit an sich selbst.
Es gibt viele Ratgeber für Beziehungen unter Menschen. Doch ich möchte heute hier ein paar Anregungen mit Euch teilen, wie wir in unserer Beziehung zu unserer Berufung das Feuer der Lust, der Liebe und der Freude am Brennen halten.
1. Pause machen
Wenn wir unserer Berufung folgen, geschieht das mit Begeisterung. Wir lieben was wir tun, wir geben unser ganzes Herz in das was wir tun und wir geben mit Freude. Wir geben, geben, geben. Oft sind wir so begeistert und voller Feuer für das, was wir tun, dass wir ganz vergessen, Pausen zu machen, zu essen, zu schlafen oder eine Runde spazieren zu gehen…
Doch: Wer viel im Feuer lebt, braucht als Ausgleich auch eine gesunde Portion Wasser. 🙂
Nehmen wir das Beispiel des Atems: Wenn wir kreativ sind, wunderbare Herzensdinge tun und erschaffen, ist es wie ein Ausatmen. Viele von uns Kreativen sind ständig nur am begeisterten Ausatmen und vergessen darüber völlig, dass sie zwischendurch auch wieder einatmen müssen – sonst geht uns die Luft aus! Und dann ist die Luft raus…
Daher meine wärmste Empfehlung: Pausen machen!
Einerseits meine ich hiermit die täglichen Pausen, aber auch die längeren Pausen, die eine oder zwei oder sogar drei Wochen andauern.
In den Pausen ist es wichtig, dass wir GANZ aussteigen. Nein, wir essen nicht am PC oder vor dem entstehenden Bild. Wir gehen GANZ hinaus aus unserem Atelier oder Büro. 🙂
Eine außerordentlich wirksame Methode, das Feuer der Liebe zu unserer Berufung am Brennen zu halten, ist das „Fasten“. Bei mir wirkt es Wunder, wenn ich ganz bewusst beschließe, für eine oder zwei Wochen gar nichts zu malen. Ich mache „Mal-Fasten“, verzichte also ganz bewusst auf das, was ich sonst jeden Tag tue.
Wenn wir das tun, also „Berufungs-Fasten“ praktizieren, fühlt es sich an, als würden wir unseren liebsten Partner für zwei Wochen nicht sehen und sprechen. Wir fangen an, ihn zu vermissen, wir denken oft an ihn und freuen uns an unseren Erinnerungen. Wir freuen uns so sehr auf ein Wiedersehen, dass wir, wenn wir wieder bei ihm sind, jeden Moment genießen und mit voller Aufmerksamkeit erleben. Das Gleiche geschieht, wenn wir von unserer Berufung Urlaub machen.
Sobald ich nach zwei Wochen Pause wieder zu malen beginne, seufze ich und sage: Ach, ist das schön… endlich wieder malen. Ich liebe es!
2. Etwas ganz anderes ausprobieren
Eine wesentliche Zutat für eine glückliche und erfüllte Beziehung ist Abwechslung. Daher lade ich auch in der Beziehung zur Berufung zum Experimentieren und zum gelegentlichen Perspektiv-Wechsel ein. Die schönste Tätigkeit wird fade, wenn wir sie jeden Tag aufs Neue tun. Um der „Routinitis“ vorzubeugen hilft es, einfach mal einen (wenn auch nur metaphorischen) Kopfstand zu machen und frischen Wind herein zu lassen.
Wenn wir uns auf den Kopf stellen, steht unsere ganze Welt auf dem Kopf.
Das unterstützt uns dabei, Dinge anders wahrzunehmen und zu entdecken. Wir werden aus den gewohnten Bahnen geworfen und finden neue Wege.
Für unsere Kreativität ist das lebenswichtig. Daher nutze ich immer wieder gern unbekannte Materialien, probiere neue Herangehensweisen aus oder verwende bekannte Materialien ganz anders als vorher – einfach um auszubrechen. Wenn wir das tun, bleiben wir beweglich. Und unser inneres Kind liebt es, Neues zu entdecken, Herausforderungen zu meistern und zu spielen. Da blüht es auf! Also lassen wir es aufblühen.
Mein Tipp: Wenn Ihr sonst immer nur mit einem kleinen Pinsel arbeitet, nehmt mal eine große Farbwalze. Wenn Ihr sonst immer auf der Gitarre spielt, geht doch stattdessen mal ans Klavier. Wenn Ihr immer am PC Eure Texte schreibt, greift doch mal zu Stift und Papier. Wenn Ihr in Eurem Beruf viel sprecht, schweigt ganz bewusst einen ganzen Tag lang. Wenn Ihr täglich mit Menschen arbeitet, zieht Euch für eine Weile ganz bewusst zurück und seid nur mit Euch. Wenn Ihr immer nur Balladen singt, macht doch einen Ausflug in die Rap-Musik oder in den Hardrock.
Oder wenn Ihr immer mit der rechten Hand Eure Zähne putzt, nehmt doch einfach mal die linke! 🙂
Das kann sehr erfrischend sein! Und bedenkt, es geht hierbei nicht darum, Ziele zu erreichen oder „gut in etwas zu sein“, sondern um Spaß!
3. Dankbarkeit empfinden
Zu einer erfüllten Ehe gehört meiner Erfahrung nach eine große Portion Dankbarkeit. Dankbarkeit dafür, dass wir so viele wertvolle Momente mit unserem Lieblingsmenschen erleben dürfen. Dankbarkeit, dass dieser großartige Mensch täglich an unserer Seite ist und seine Einzigartigkeit mit uns teilt. Dankbarkeit, dass wir einander lieben.
Ebenso ist es mit unserer Berufung. Auch wenn es „ruckelt“, wenn die Zeit oder das Geld knapp ist, wenn wir sehr gefordert sind und uns groooße Herausforderungen begegnen, so ist es doch eine fantastische Möglichkeit, dass wir unsere Berufung jeden Tag so frei leben können.
Wenn wir üben, in anstrengenden Zeiten trotz aller Schwere die Schönheit und den (einzig wahren) Reichtum zu erkennen, dann ist die „Ehe“ gerettet. 🙂
Die wahre Freiheit liegt doch letztendlich darin, dass wir unsere Zeit mit dem verbringen, was wir lieben, dass wir FREUDE empfinden! Und wenn wir damit obendrein auch noch unseren Lebensunterhalt verdienen, ist das etwas Großartiges. Danke, dass dies möglich ist!
Zur Dankbarkeit gehört für mich auch Demut. Demut lässt uns erkennen, dass wir das, was wir tun, nicht allein für uns selber tun, sondern dass wir eine Aufgabe haben, die wir jeden Tag aufs Neue mit Leben erfüllen. Wir gehen unserer Berufung nach, weil die Welt danach „ruft“. Wir werden gerufen, also folgen wir und tun was wir lieben. Wir tun das, was „unseres“ hier auf Erden ist.
Sollten wir davon manchmal die Nase voll haben (was ja in der besten Ehe vorkommen soll), halten wir inne, öffnen unser Herz und nehmen wahr, was uns für ein Wunder zuteil wird und wie gesegnet wir sind.
Dankbarkeit ist immer eine gute Entscheidung. In der Beziehung, in der Gesundheit und im Beruf(ung)sleben. 🙂
Ihr Lieben, ob Ihr nun Freiberuf(ung)ler seid oder nicht, diese GeDANKEn wollte ich gern mit Euch teilen.
Ich wünsche uns, dass wir alle immer und überall im Einklang sind mit unserer Berufung und eine fruchtbare Beziehung mit dieser erleben und genießen. ♥
Herzlich,
Ulrike
Danke für diese Gedanken. Fasten tut generell ganz gut 🙂
Es ist mir eine tiefe Freude, Lilli, und ich wünsche Dir ein glückliches und leichtherziges Eheleben. ♥
Oh, ja, der Spruch ist gut! 🙂 Danke!
Liebe Ulrike,
das ist ein wunderschöner, herzerwärmender und nachdenklicher Beitrag. Zwischen all meinen Träumereien hinsichtlich meiner eigenen Berufung, ist es wichtig auch diese Seiten auf dem Weg zur Erfüllung näher zu beleuchten und darüber nachzudenken. Ich danke dir für diesen Impuls.
Einen schönen Tag wünsche ich dir.
Nicole
Was für wunderbare Gedanken, du sprichst mir aus dem ❤️zen!
Ein bisschen passt der Spruch des Tages von Oliver Wendell Holmes:
Freundschaft ( Ehe, Berufung?, ) erlaubt einem nicht automatisch,
dem anderen unangenehme Dinge zu sagen.
Je näher man einem Menschen ( seiner Berufung…!?) ist,
desto wichtiger werden Taktgefühl und Höflichkeit
( z.B. mit achtsam sein,
dankbar sein oder Abstand / Distanz / Pause zelebrieren.)
Vielen Dank, Ulrike !!!
Liebe Ulrike, dein Text berührt mich tief und ich spüre große Dankbarkeit, dass du das alles teilst! In mir ist viel Trauer, aber ich spüre, wie sie mich mit der Sehnsucht verbindet….Der Sehnsucht, das zu tun, was ich liebe (malen, gestalten…): ganz viel, nur für mich, für die Welt, als Beruf, als Berufung. Das, was es bisher verhindert, sind diffuse Ängste, die du so wunderbar benennst – gleich verbunden mit den ‚Gegenmaßnahmen‘ 🙂 Dafür danke ich dir!
Lilli
Ulrike, diesen Kommentar hast Du sehr einfühlsam und wahr geschrieben. Es stimmt alles was Du schreibst. Ich kann es aus eigener Erfahrung bestätigen, bin schon etwas älter, hatte eine
lange Beziehung und bin selbständig.
Haupterkenntnis :.. man muß an seiner Beziehung arbeiten !!!
Lieben Gruß
Detlef-Wolfgang